Es scheint überall das Wort der Stunde zu sein: Nachhaltigkeit.
Der Nachbar, der sonst mindestens zweimal pro Jahr in den Urlaub fliegt „um mal wieder seinen Akku zu laden“, hat sich Solarzellen auf seinem Hausdach montieren lassen. Der Kollege, der sonst die zwei Kilometer zum Büro immer mit dem SUV fährt, taucht auf einmal mit dem Fahrrad auf und trinkt einen selbstgemixten Smoothie, anstatt des üblichen Kaffees. Und sogar beim Bäcker nebenan gibt es seit kurzem Croissants bei denen jede Zutat aus der Region stammt.
Ein Sinneswandel?
Doch ist das bereits diese Nachhaltigkeit von der alle sprechen? Der Nachbar schwärmt immerhin von seiner neuen Errungenschaft, als ob der den Heiligen Gral der Klimakrise entdeckt hätte. Der Kollege schnauft so laut, wenn er am Morgen die Tür zum Büro öffnet, sodass auch der Praktikant in der letzten Reihe mitbekommt, dass er morgendlich einen Ironman-würdigen Weg zurücklegt. Und sogar der Bäcker scheint die größte und glücklichste Kundschaft seit langem zu haben.
Was sie jedoch alle für sich behalten: Die Solarzellen hat der Nachbar nur gekauft, weil sie subventioniert wurden. Das Fahrrad des Kollegen ist ein brandneues E-Bike und der CO2-Fußabdruck des selbstgemachten Mango-Lychee-Smoothie im tiefsten Dezember scheint dem Kaffee in Nichts hinterherzuhinken. Sogar die regionale Auswahl beim Bäcker geht auch nur so lange, wie der Trend der kauffreudigen Kundschaft dies zulässt.
Doch was soll all der Zynismus? Immerhin tun sie etwas für unser Klima. Auch wenn es nur ein kleiner Beitrag ist. Vielleicht regen sie mit ihrem Handeln sogar andere Menschen dazu an, genau das gleiche zu tun, wie sie selbst. Ein Schneeballeffekt der Gutes bewirken kann. Nur eben genau die Menschen, die selbst überhaupt nichts machen, scheinen immer am meisten zu erwarten und jeden noch so kleinen Makel zu entblößen. Es ist leicht für jemanden der am Abend auf der Couch sitzt und sich alleine eine Familienpackung Chips gönnt, über den Veganer im Fernsehen zu meckern, der leider zufällig mit einer Plastiktüte erwischt wurde.
Also warum nehmen wir es beim Thema Nachhaltigkeit so genau? Niemand kann vollkommen nachhaltig leben und niemand erwartet, dass man plötzlich kein Auto mehr fährt, kein Fleisch mehr isst, der Kleidungsschrank ausschließlich aus fairer Herstellung stammt, man täglich einen Baum pflanzt und sein Smartphone eigenständig aus Zweigen und Steinen zusammenklöppelt. Bereits ein kleiner Schritt kann einen großen Effekt haben. Vielleicht will man nicht auf sein Auto verzichten, aber dafür isst man nur noch einmal pro Woche Fleisch und kauft dafür öfter fair gehandelte Kleidung. Oder man ist ein großer Technikfreak und freut sich jedes Jahr auf das neueste Smartphone, dafür plant man seine Urlaubsreisen nur so, dass das Reiseziel per Bahn erreichbar ist. Genau so lebt man bereits Nachhaltig im Alltag. Jeder kleine Schritt ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ganz nach dem Motto: Ein kleiner Schritt für mich, aber ein großer Schritt für die Menschheit.
Also lass dir von niemanden sagen, dass nachhaltig Leben im Alltag nicht möglich sei, oder dass du es nicht schaffst, nur weil du nicht auf alles verzichtet möchtest. Lasse dir deine kleinen Erfolge von niemanden vermiesen und genieße deinen Alltag in deinem Fairtrade-Shirt mit gutem Gewissen.